Klaus, Mai 2010:
Was erwarte ich von meinem Leben?
Wieder mal eine Nacht durchschlafen ohne an den Job, Projekte, Meetings oder
Zielvorgaben zu denken. Morgens aufwachen und sich fit fühlen.
Gerade bin ich 43 Jahre alt geworden. Seit 24 Jahren sind meine Frau Petra und
ich ein glückliches Paar. Wir lieben das Reisen, pflegen unsere
Freundschaften, genießen unsere Freizeit. Wir sind beruflich vom Erfolg
verwöhnt. Petra betreibt eine kleine IT-Firma, ich arbeite im Management eines
großen Konzerns. Wir haben keine finanziellen Sorgen, sind bei guter Gesundheit
und fühlen uns wohl in unserem sozialen Umfeld.
Und trotzdem bin ich
unzufrieden. Mehr noch, ich fühle mich erschöpft, kaputt, leer. Gestern blieb
ich auf der Eingangstreppe sitzen, als ich nach Hause kam. Ich hatte das Gefühl,
dass ich nicht mal mehr die fünf Stufen bis zur Eingangstür schaffe. Letztes
Jahr hat mich die Firma in die USA versetzt: neuer Job, neue Herausforderung.
Doch irgendwie wird das alles zu viel für mich: Fremde Sprache, fremde Kultur,
unklare Vorgesetztenstruktur, weltweite Verantwortung und das Gefühl, 24 Stunden
am Tag verfügbar zu sein.
Ich nehme mir alles zu sehr zu Herzen. Ich will
perfekt sein, es jedem Recht machen, Vorbild sein. Natürlich weiß ich, dass es
so nicht klappen kann. Aber ich bin nun mal so erzogen worden: „Kind streng Dich
an, sei besser als alle anderen!“ Ich fühle mich wie in einem Hamsterrad, dessen
Tempo ich selber nicht mehr bestimmen kann. Wie ein Lachs, der zum Laichen den
Fluss hoch schwimmt, obwohl er genau weiß, dass er am Ziel sterben wird.
Am
Schlimmsten ist, dass ich mich für diese innere Erschöpfung schäme. Welchen
Grund habe ich zu klagen, wo mir doch alles zu Füßen liegt: Privates Glück und
beruflicher Erfolg. Alle Erwartungen, die von der Gesellschaft an mich gestellt
werden, habe ich doch erfüllt.
Aber genau das ist das Problem: ich erfülle die
Erwartungen der Gesellschaft. Erfülle ich aber auch meine eigenen Erwartungen?
Bin ich wirklich glücklich? Was erwarte ich überhaupt von meinem Leben? Ich bin
jetzt in der Mitte meines Lebens. Soll es genauso weitergehen wie bisher? Wenn
ich noch einmal mein Leben grundsätzlich verändern will, dann muss ich es jetzt
tun, am besten heute.
Ich würde so gerne reisen, ich will die Welt sehen. Ich
will so viel Zeit wie möglich mit Petra verbringen, am liebsten 24 Stunden am
Tag. Ich will Abenteuer erleben, mal was ganz anderes machen. Ich will über mein
Leben selber bestimmen, auf keinen Chef hören und auf keine Mitarbeiter
Rücksicht nehmen müssen.
Am nächsten Morgen spreche ich mit meinem Chef und gebe
die Kündigung ab! Sechs Monate später bin ich frei - ohne Abfindung, ohne
Erbschaft, ohne Lottogewinn.
Wir trennen uns von unseren Habseligkeiten,
tauschen Wohnung gegen Wohnmobil, reisen erst sieben Monate durch Kanada und die
USA, bevor wir uns in das Abenteuer Lateinamerika stürzen. Mit dem eigenen Auto
in drei Jahren und auf 100.000 Kilometern durch siebzehn Länder.